Migration im Lande: Eingewandert ins Wipptal – eine Interviewreihe

Diese Interviewreihe ist ein Schritt zum Kennenlernen von MitbürgerInnen, die aus anderen Ländern ins Wipptal gekommen sind und hier leben.

Es ist Projekt mit Unterstützung der Freiwilligen des Sozialdienstes der Bezirksgemeinschaft Wipptal. 

Wir danken all jenen, die uns an ihren Erfahrungen teilhaben lassen.      

Unsere bisherige GesprächspartnerInnen:

Olha Odynets aus der Ukraine

Ian Wells, Australien

Mabel Nilva, Barlassina. Argentinien

Mohamed Laabidi, Simo, Marokko

Nahoko Komatsu Japan

Herr Habib: Tunesien Sterzing

Zwei Schwestern: Türkei - Wipptal

Interview mit Frau Lin Xue Qin zusammen mit ihrem Mann Chen Weifeng, stammend aus der Provinz Zhejiang, südlich von Shanghai, China

Interview geführt am 14.10.2021 mit Unterstützung von Christine Haller Zwischenbrugger, Freiwillige des Sozialdienstes und Initiatorin des Sprachencafés in Sterzing

1.    Wie wir hierher gekommen sind

Vor Sterzing lebten wir in Meran. Wir suchten ein Geschäft oder ein Restaurant in Südtirol und besuchten vor Jahren im Mai Sterzing. Wir haben viele Leute gesehen, die die Stadt besichtigten und es hat uns hier gefallen. In der Altstadt fragten wir eine Frau, ob sie wüsste, ob es ein Restaurant oder eine Pizzeria zu mieten gäbe. Und so sind wir nach Sterzing gekommen, was ein Glück war, es ging alles sehr schnell. 

Ich war bereits im Jahr 2000 nach Italien gekommen, zunächst nach Mailand. Mein Vater ist nun wieder nach China zurückgekehrt, zu seinen Verwandten und Freunden. Er ist schon etwas älter. Meine Mutter hingegen ist erst viele Jahre später nach Italien gekommen und sie ist bei uns geblieben und hilft uns bei der Betreuung der Kinder. 

Mein Mann kam 1998 allein nach Mailand. Sein Onkel war schon dort und arbeitete.  Mein Mann fand eine Stelle in einem italienischen Restaurant. Dann haben wir uns in Mailand kennengelernt. 

In China ist alles sehr groß. Unsere Heimatstadt hat 600.000 Einwohner und ist in der Ausdehnung so groß wie Bozen. Aber es gibt viele Hochhäuser, in denen bis zu 1.000 Menschen leben. Andere Wolkenkratzer haben 2.000 bis 3.000 Bewohner. Im kleinsten leben 400 Menschen. Viele junge Leute haben unsere Stadt vor 20 – 30 Jahren in Richtung Europa verlassen. Mein Vater kam auch nach Italien, weil er besser arbeiten und leben wollte. 

2.    Wie wir hier sind

Der Anfang in Sterzing war schwierig. Es hat sich so viel für uns verändert, wir haben unsere Freunde so sehr vermisst und es war sehr kalt hier. Am Anfang hatten wir nicht viel Arbeit, es dauerte 2-3 Jahre, bis es besser wurde. Ich arbeite im Restaurant und mein Mann ist der Koch. Wir haben zwei Töchter, die ältere wurde in Meran geboren, die jüngere in Sterzing. Die Mädchen gehen hier zur Schule. 

3.    Wie wir uns unsere Zukunft vorstellen

Wir machen diese Arbeit schon seit vielen Jahren, wir arbeiten ständig, wir sind mit vollem Einsatz dabei. Ab und zu denken wir, dass es eine Veränderung bräuchte, aber unsere Töchter sind noch klein. Wenn sie groß sind, werden wir sehen, ob sie hier bleiben oder wegziehen wollen, aber das wissen wir selbst auch noch nicht.

4.    Was für das Zusammenleben wichtig ist, was man wissen sollte, wenn man  hierher kommt

Am Anfang ging es uns nicht gut. Denn hier hat sich für uns viel verändert. In Mailand kann man viele Dinge tun, alles ist viel bequemer, man hat viel mehr Möglichkeiten. Aber hier, nach der Arbeit, ist man zu Hause. Jetzt, wo wir die Familie hier haben, sind wir daran gewöhnt. Hier ist alles ruhig, es gibt kein Durcheinander, die Stadt ist sauber und die Menschen sind nett. Wir sind jetzt sehr zufrieden, denn die Leute von hier mögen unser Essen, vor allem die jungen Leute. 

Es ist wichtig, gut zu arbeiten und Arbeit zu haben. Mein Mann war vier Jahre lang in Mailand und wir haben zwei Jahre in Meran gelebt. Wir haben bereits in Mailand Italienisch gelernt. Hier ist es schwierig mit Deutsch. Es gelingt uns, wir können die Menüs in Deutsch erklären, über das Essen reden. Es ist unsere dritte Sprache und es ist nicht einfach. Unsere Kinder sprechen Deutsch und gehen auf eine deutsche Schule. Deshalb habe ich den Deutschkurs besucht, im Fuggerhaus und da lernte ich Christine kennen, die Lehrerin. Ich habe es für die Kinder getan, weil sie in die deutsche Schule gehen, damit ich etwas verstehe. Ich habe immer bis Mitternacht gearbeitet und es war sehr anstrengend morgens für den Kurs aufzustehen. Jetzt sprechen sie Deutsch, ich kann sie fragen, sie lernen auch andere Sprachen. Sie machten auch den Chinesisch Online-Kurs. Nachdem sie die Grundschule auf Deutsch besucht hatten, wollten wir sie auf die italienische Schule schicken. Aber sie wollten ihre Freunde nicht wechseln. Also blieben sie in der deutschen Schule.

Ab und zu, wenn ich einen Tag oder ein paar Tage frei habe, besuche ich Freunde. Ich habe eine Freundin in Bozen. Mein Mann kann nicht, er muss ständig hier sein, denn wir haben jeden Tag geöffnet. Er ist in der Küche und als einziger Koch muss er hier sein, er macht das sehr gut. Wir waren seit vier Jahren nicht mehr in China um unsere Großeltern zu besuchen. Wir haben beide großes Heimweh. Zum Glück können wir jetzt über WECHAT miteinander reden, schreiben und uns sehen. Das hilft. Es hilft sich nahe zu fühlen. Auch wenn die Großmutter jetzt nicht mehr so viel hört, könne wir uns zumindest sehen.

Jetzt gibt es wieder viele Touristen. Aber in der Altstadt gibt es viel weniger Menschen, hier ist es ruhig, abends kommen nur wenige Leute vorbei. Viele Geschäfte und Lokale in der Altstadt sind geschlossen. Auch die Feste und Veranstaltungen der letzten Jahre fanden meist nur auf dem Stadtplatz und ein wenig weiter rauf statt, aber nicht ganz hier oben. Es ist schade und es auch besorgniserregend für uns. Aber nicht nur für uns, es ist vor allem schade für die ganze Stadt. Viele hier haben geschlossen.


Frau Lin Xue Qin zusammen mit ihrem Mann Chen Weifeng

25.11.2021

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