Interview mit Frau Nahoko Komatsu, aus Tokyo in Japan stammend, wohnhaft in Sterzing

Interview vom 02.05.2021, aufgenommen mithilfe von Anna Pantano und Christine Zwischenbrugger Haller, Freiwillige des Sozialdienstes der Bezirksgemeinschaft Wipptal 


1.    Wie ich hierher kam 

Ich habe meinen Mann anlässlich der Olympischen Spiele von Sapporo 1972 in Japan kennengelernt. Er war Bobfahrer der italienischen Mannschaft, im Viererbob. Ich war Olympia-Hostess, da ich gut Englisch und Deutsch sprechen konnte. Durch meine deutsche Brieffreundin war ich einige Jahr davor nach München gekommen, ich durfte bei ihr wohnen und Deutsch lernen. Ich hatte damals in Japan mein Studium der japanischen Literatur abgeschlossen und habe mich mit 22 Jahren alleine von Japan nach Deutschland aufgemacht. Das war 1966. Die Reise ging über Sibirien, zuerst mit dem Schiff, dann mit dem Zug, sie dauerte 7 Tage! Ich hatte einen schweren Koffer mit, war klein, mager und allein, trotzdem war alles sehr interessant für mich. Ich war immer eine Abenteurerin. Die Rückreise ging von Flensburg über Helsinki, Leningrad nach Japan, wieder per Zug, Schiff und Flugzeug. Ich hatte nie Angst und war immer sehr neugierig. Danach habe ich die internationale Hotelfachschule in Luzern in der Schweiz besucht und in Zürich gearbeitet. Dort hat es mir aber nicht gefallen. Ich hatte Probleme mit dem Schwyzerdütsch, so habe ich die Schule in München abgeschlossen. 1972 habe ich bei der Sommerolympiade als Hostess gearbeitet. Die spätere Königin Silvia von Schweden war damals unsere Chefin. 

Nach München wurde ich als Hostess für die Olympischen Spiele in Sapporo engagiert. Die Bobfahrer aus Italien konnten nur italienisch sprechen, mein Mann als einziger auch Deutsch. So habe ich ihn kennengelernt. Wir haben schnell geheiratet, ohne lange zu denken und jetzt bin ich schon lange hier, 48 Jahre. Ich denke nicht zurück. Es gefällt mir gut hier, mir gefallen die Berge sehr. Hier ist es wie im Urlaub. Als die Kinder klein waren, bin ich alle 2 Jahre im Sommer mit ihnen einige Monate nach Japan gereist, bis sie 16 Jahre alt waren. Sie haben japanische Namen. Ich bin immer zu Hause geblieben, hatte wenig Geld, dafür aber meine Freiheit. Die brauchte ich, um in den Ferien mit den Kindern nach Japan fahren zu können. Manchmal habe ich Übersetzungen gemacht. Mein Mann hat immer gearbeitet und ich habe mit den Kindern italienisch gesprochen, weil wir in Italien sind. Jetzt können sie 4 Sprachen. Meine Tochter lebt in Bologna, mein Sohn lebt in Japan, hat dort 3 Kinder. Mit ihm rede ich immer Japanisch. 


2.    Wie ich hier bin

Es geht mir sehr gut hier. Im Sommer gehe ich viel auf die Berge, im Winter mit den Schneeschuhen. Ich habe viele Freunde, bin Mitglied im Alpenverein und im CAI, da ich die Natur und die Berge über alles liebe. In Italien bin ich viel gereist, habe sowohl alleine Trekking gemacht als auch Gruppenreisen. Auch mit meinen Schwestern und früher mit meinen Eltern haben wir Reisen in Italien unternommen.


3.    Wie ist meine Zukunft

Ich denke nicht an morgen. Ich mache keine Programme, ich lebe im Jetzt, das habe ich immer schon so gemacht. Auch meine Kinder sind so, glaube ich. Sie leben im Jetzt, sind auch Abenteurer wie ich. Das habe ich wahrscheinlich von meinen Eltern übernommen. So gesehen war meine Herkunftsfamilie sehr modern, meine Eltern waren auch immer neugierig, sie wollten die Welt sehen, hatten Interesse für Kunst, Philosophie und Literatur. Wir sind es auch gewohnt, schnell zu entscheiden. Auch meine Kinder.

 

4.    Was für ein gutes Zusammenleben wichtig ist 

Es braucht die Sprache, die Kommunikation. Italienisch habe ich mehr mit meinen vielen Freundinnen gelernt, als durch meinen Mann.

Mir gefällt es sehr, mit Menschen in Kontakt zu sein. Respekt haben ist wichtig. Niemand hat mich gefragt, was ich gelernt habe, ich habe nie jemandem gesagt, dass ich die Universität abgeschlossen habe. Man dachte, ich wäre aus Asien, aus der 3. Welt. 

Die Leute waren anfangs nicht immer freundlich. Wenn ich zurückdenke, war jeder Tag ein Kampf. Ich war mit den Kindern ganz allein auf mich gestellt, meine Schwiegermutter lebte in Bozen. Doch ich habe es geschafft. Damals und auch jetzt.

Für mich ist es interessant hier, ich fühle mich wie im Urlaub. Jeden Tag gibt es etwas Neues, z.B. heute dieses Interview. Entweder man liebt die Berge und kann die Sprache, sonst muss man abhauen. Ich telefoniere viel nach Japan. 

Ich gehe 8 – 9 Stunden in die Berge, bin bald nach einer OP auf den Hochfeiler gestiegen. Ich bin immer neugierig, wie es weitergeht, sogar während meiner Chemotherapie. Mein Mann hat mir geholfen. Es war schlimm, aber ich war überrascht, wie fröhlich alle waren. Bei den Therapien habe ich viele Leute kennengelernt, alles nette Leute. Man kann nicht immer gesenkten Kopfes durchs Leben gehen.

Auch wenn das Wetter nicht immer schön ist, es gefällt mir hier. Nebenbei mache ich gerne Patchwork und kleine japanische Püppchen mit Kimonostoff.  


KimonostoffKimonostoff

01.06.2021

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